6/05/2007

Südharzer Aktionismus


Seit Wochen müssen wir eine Debatte über uns ergehen lassen, welche die Forderung einer Amtsniederlegung des Herzberger Bürgermeisters diskutiert. In einer Forderung findet sie ihre Berechtigung: ein rüder und offensiv-tätlicher Umgang mit Journalisten. “Linke” Parteien und Teile der bürgerlichen Gesellschaft vermengen eine Kritik an der Amtsausführung jedoch mit einer angeblichen Lösung des Problems “Faschisten im Südharz”, womit ihre Forderungen in eine Amtsniederlegung auch nicht unterstützt werden dürfen. In der Tat ist es berechtigt, einen Bürgermeister in Frage zu stellen, der sich exekutiv und aktionistisch verhält anstelle seiner legislativen Aufgaben gerecht zu werden, seinen Ermessensspielraum willkürlich interpretiert und den ärmelhochkrempelnden Chef miemt, als den Walter&Schalter zu geben, der durch Kopf und Geschick mit einem vernünftigen und ernstzunehmenden politischen Handlungskonzept den fruchtbaren Boden für Faschisten entziehen kann (der NDR berichtete). Die Öffentlichkeit darf sich aber nicht täuschen lassen, denn es würde am existenten Problem “Faschismus” nichts ändern, würde Walter zurück treten. Im Gegenteil!

Bedauerlicherweise wird auch Nazis in Deutschland das juristische Recht zu Teil, Parteiveranstaltungen und Parteitreffen durchzuführen. So lange die Debatte den Rücktritt eines Amtsträgers nur damit begründen möchte, dass eine solche Veranstaltung in seinem Amtsbereich statt gefunden hat und er dieser beiwohnte, ist die Debatte berechtigt, die daraus abgeleitete Forderung um einen Rücktritt aber nicht. Die Forderung verlässt demokratisches Terrain und spielt den Ball Nazis zu, die genau jenes demokratische Unvermögen, mit Problemen adäquat umzugehen, für sich instrumentalisieren wollen. Hier setzen sie mit ihrer völkisch-deutschnationalen Ideologie an.

Somit würde es für das rechtsextreme Klientel einen K.O.-Sieg bedeuten, mit einer legitimen Veranstaltung demokratische Auflösungserscheinungen in Gang gesetzt zu haben und bereits damit einen Bürgermeister vom Stuhl kippen zu können. Faschisten setzen mit ihrer “Kritik” nämlich immer dann an, wenn sie meinen, demokratische Forderungen als “Willkürlichkeit” des Systems darstellen zu können. Damit begründen sie ihre “Unterdrückung” und igeln sich in die “Opferrolle” des dummen Schafes ein. Wer also den Rücktritt von Walter fordert, muss wissen, Teil der rechten Propaganda zu werden.
Daher rühren schließlich auch die Solidaritätsbekundungen für Walter seitens der NPD. Neonazis versuchen aller Orten, die Wirklichkeit der praktizierten und allgegenwärtigen Demokratie in Frage zu stellen. Insofern war das Verhalten Gerhard Walters nach dem Fehltritt richtig, auf derartige Forderungen seitens Rat und Medienöffentlichkeit nicht näher einzugehen und sich auch nicht durch die unerwünschten Solidaritätsbekundungen seitens der NPD verunsichern zu lassen.

Möchte man sich gegen rechte Demagogen wehren, muss die Kritik auf einer aufgeklärten und emanzipierten Gesellschaft aufbauen. Blind handelnde Aktionisten können hierfür jedenfalls keine sinnvolle Arbeitsgrundlage sein, denn dahinter verbirgt sich nicht mehr als das politische Anliegen, für ein Spektakel zu sorgen. In Anbetracht der Ernsthaftigkeit neonazistischer Konzentrationserscheinungen im Großraum Harz, der falsche Weg! Da sich die bauchlinken Parteien ebenso reflexartig wie auch der Bürgermeister verhalten, gehören SPD, Grüne und Linkspartei zum Gegenstand unserer Kritik.

Im Spektakel geht die Theorie vor lauten Parolen und stumpfen Populismus unter. Es kann aber nur die theoretische Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse selbst sein, welche den Weg in eine bessere emanzipiertere Gesellschaft ebnet. Besser kann eine Gesellschaft nur sein, wenn sie Faschisten schlichtweg nicht mehr aus sich selbst hervorbringt. Die Diskussion um einen Bürgermeister zeigt, dass Populismus dafür nicht nur untauglich ist, sondern auch wesentlich zu kurz greift!

6/01/2007

Deutschland - Ein Opfermärchen

Es war einmal eine Idee der „deutschen Nation“ und des „deutschen Volkes“.

Sie entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im 18. Jahrhundert hatte es diese Idee noch nicht gegeben. Die Besetzung der deutschen Kleinstaaten durch Napoleon (1806) war die Geburtsstunde der Idee von der Naturhaftigkeit der deutschen Kultur, die vor einem sogenannten fremden Außen verteidigt werden musste. Napoleon und Frankreich waren die ersten und naheliegendsten Feinde der deutschen Idee. Sie wurden abgrundtief gehasst und militärisch bekämpft, was „den Deutschen“ als die „Befreiungskriege“ von 1813-1815 verkauft wurde und wird. Da die „deutsche Idee“ tatsächlich keine politischen Inhalte besitzt, braucht sie – mehr als andere Nationen - immer ein Feindbild, damit wenigstens eine negative Abgrenzung stattfinden kann. Dazu gehören nicht nur die Feinde von Außen, die militärisch besiegt werden müssen, sondern von vornherein auch die Feinde, die das „deutsche Volk“ vermeintlich von innen zersetzen. So wurden auch die französische Sprache und die Ideen der französischen Revolution und Zivilisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Feinden der „deutschen Kultur“ erklärt.

„Die Deutschen“ sahen sich als Opfer der Französinnen und Franzosen und bekämpften sie. Diese Kriege wurden zu „heiligen Befreiungskriegen“ hochstilisiert, denn die Idee des Deutschen wurde zu einer Art Religion, die es zu verteidigen galt, war sie doch ebenso irrational wie eine solche. „Die Deutschen“ sahen sich als Opfer der Kleinstaaterei, die ein Großdeutsches Reich, also die angeblich „naturhafte Einheit des deutschen Volkes“ verhinderte. Das führte wiederum zu Kriegen, nämlich zu den sogenannten Reichseinigungskriegen, in denen die Menschen der unterschiedlichen Kleinstaaten unter Bismark mit seiner „Blut und Eisen“ Rhetorik mittels Militär zu EINER NATION gemacht wurden.

Das 19. Jahrhundert mit der Entstehung der deutschen Idee brachte aber auch eine neue Art der „Judenfeindschaft“ – den Antisemitismus - mit sich. Nur wenige Jahre nach den sogenannten Befreiungskriegen (1819) gab es eine neue Welle antijüdischer Gewalttaten auf deutschem Gebiet. Vorher hatten antijüdische Progrome vor allem aus christlichen, antijudaistischen Motivationen heraus stattgefunden. Mitte des 19. Jahrhunderts kam erstmals die Rassentheorie auf und „die Deutschen“ zählten sich zu der halluzinierten Herrenrasse der Arierinnen und Arier. 1879 entstand die antisemitische Bewegung, welche das Judentum zu DEM unversöhnlichen Feind des „deutschen Volkes“ erklärte. Die sogenannte „Lösung der Judenfrage“, die Vernichtung aller Jüdinnen und Juden wurde Ende des 19. Jahrhunderts (1899) zum Ziel der antisemitischen Bewegung. Den „jüdischen Geist“ setzten die Antisemitinnen und Antisemiten gleich mit allen negativen Auswirkungen der Modernisierung, vor allem mit der Ausbeutung durch angeblich „raffendes Kapital“ , aber auch mit Marxismus. So wurden Jüdinnen und Juden unter anderem zu den Schuldigen für die Wirtschaftskrise 1873 erklärt.

Die Grundlagen für den Beginn zweier Weltkriege und den Holocaust durch „die Deutschen“ sind also schon im 19. Jahrhundert in den deutschen Opfermythen und den aggressiven vermeintlichen Verteidigungsakten zu finden. Der Hass auf und die Abwertung von Jüdinnen und Juden, Nichtdeutschen oder angeblichen Nichtarierinnen und Nichtariern sowie deren brutale Bekämpfung waren keine Erfindung Hitlers. Sie wurden „den Deutschen“ 1933 nicht aufgezwungen, sondern waren im Gegenteil in der „deutschen Ideologie“ schon vorhanden So wird auch verständlicher, dass Hitler mit 43,9 % der Stimmen an die Macht gewählt wurde und die meisten Menschen Hitlers Politik mit großem Enthusiasmus mittrugen.

Wenn heute wieder über das „deutsche Los“ gejammert wird, darüber, dass „wir armen Deutschen“ keine sogenannte „normale Nation“ sein dürfen, weil wir immer wieder an „unsere Geschichte“ erinnert werden, darüber, dass „deutsche“ Städte bebombt wurden, darüber, dass „wir“ Entschädigungszahlungen an die Opfer des NS zahlen sollen oder darüber, dass so viele Nichtdeutsche „unser Land überfluten“ und „unsere“ Gelder verschleudern, dann ist darin auch eine Wiederbelebung des aggressiven deutschen Opfermythos zusehen.
Redebeitrag des “Squat Topf&Sohn” zur Kundgebung “Gegen deutschen Opfermythos” am 7.5.05 in Erfurt

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Texte
Nazis und Bevölkerung - Eine deutsche Suppe…
Arbeit - Zwang - deutscher Wahn
Links:
Besetztes Haus “Topf & Sohn” in Erfurt