1/27/2008

Bürgerlicher Antifaschismus - Wenn der Weg zum Ziel wird.

Der Harz sieht aus extraterrestrischer Perspektive aus wie abgekühltes Hundekot, ist in Wirklichkeit aber ein Steinklopps im Dreiländereck Niedersachsen/Hessen/Thüringen. Seit am 20. April 2007 der Harz Kurier (1) über die umtriebige Neonaziszene in der Region seine Leserinnen und Leser zum Frühstück begrüßte, halten den Harz nun nicht mehr nur Kosmonauten für einen braunen Strich in der Landschaft.
Konservative Politiker vor Ort reagierten reflexartig, wollten von vermeintlichen extremen Linken mit gleichem Gefährungspotential wissen. Ausgerechnet zwei ausgebildete Journalisten der ARD und ein Ratsmitglied der Ortspartei von Die Grünen sollten dazu die Beelzebuben abgeben. Die Nachbarschaft wollte dieses Geplapper zurecht nicht abnehmen. Städte wie Bad Lauterberg oder Herzberg sind einfach zu Übersichtlich, als dass irgend ein Anwohner durch derart infarme Behauptungen denken könne, etwas übersehen zu haben. Es ist daher dieser Eindeutigkeit vor Ort zu verdanken, dass sich rechts-konservative Flügel beim Versuch, diesen Schwindel als Fahrschein zum eigenen rechtsoffenen Handeln (2) einzulösen, selbst ins Knie schossen.

Was rechte Flügel vergeblich und auf zugegebenermaßen dümmliche Weise inszenieren versuchten, hat die demokratische Linke im Südharz nun aus eigener Kraft geschafft. Konservative Strömungen hätten vor Ort eigentlich nicht mehr viel zu melden gehabt, waren politisch gar in der Defensive und eine Beteiligung an weiteren Bündnissen wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Da hätten die Nachbarn sogar autonomer Blocks im Ort ausgehalten. Nicht zu übersehen waren diese am 19.1. auf der Demonstration "Es gibt kein ruhiges Hinerland - Gegen NPD und Kameradschaft Northeim". Doch ausgerechnet mit dieser Bündnisdemonstration, auf der radikale und gemäßigte Linke ihren gesellschaftlichen Einfluß vor Ort hätten stärken können(3) ,wurde das Bestreben gegen Neonazis gehemmt. Daher hat Benjamin Laufer in seinem Jungle World-Artikel Recht behalten, als er schrieb: "Das bürgerliche Lager macht es ihr [gemeint sind Faschisten im Ort; Anm. d. Verf.] nicht sonderlich schwer." (4)


Subversionsmodell "Spazieren gehen"

Wer auf den 19. Januar zurück blickt, der könnte eigentlich ein positives Fazit ziehen. Trotz völlig maßloser Polizeiprovokationen im Vorfeld der Demonstration, gezielt gegenüber mehreren radikalen Linken aus Göttingen, Braunschweig und Hannover und buchstäblichen Pisswetters fanden sich beachtliche 700 Demonstranten zusammen, um lautstark durch die Innenstadt zu ziehen. Dass die Zivilgesellschaft vor Ort nun aber nicht über Lösungsmöglichkeiten debattiert, wie man sich den Faschisten im Ort entledigen könne, geht auf ungeklärte Zuständigkeiten bei der Pressearbeit (5) im Vorfeld der Demonstration seitens des lokalen Bündnispartners "Bunt Statt Braun Osterode" zurück. Statt gemäß der Vereinssatzung über rechte Strukturen in der Region zu sensibilisieren, meißelte man ein Gespenst über Linksradikalismus in Stein, welches den Januar über durch die Straßen und Gassen des beschaulichen Kurortes poltern sollte. Jene Äußerungen eröffneten ein Themenfeld über vermeintlich bevorstehende linke Gewalt, schien die Ängste der Bürger sogar anzufeuern und machte Leugnern bis heimlichen Befürwortern der Faschisten vor Ort Mut, allerlei Unwahrheiten ins Mikrophon zu posaunen (6).Obwohl sich sogar Polizeidirektor Hans Walter Rusteberg durch die Worte "friedlichen Verlauf" zitieren lässt (7), wollen sogar die Menschen im entfernten Osterode von Verwüstungsspuren, Chaos und linker Gewalt wissen, Schwarze Blocks wollen sie gesehen haben. Auf die Spitze trieb dies ausgerechnet ein Kommentar des lokalen Sportreporters der Zeitung. Sowohl Regenkleidung, Brillen, die üblichen Demonstrationschöre wusste er zu problematisieren und dem linken Bündnis vorzuwerfen als auch erhobene Fäuste (8 ). Dies habe zu Unbehagen geführt, wusste Härtl zu berichten. Er spricht aus, was nach 14 Tagen debattieren über linke Gewalt auch andere fühlen: beklemmendes Unbehagen zwischen Butter- und Heikenberg über linke Störenfriede des heimischen Idylls. Es sind auf einmal nicht die Neonazis, deren existentes Bedrohungspotential als einzig reales kritisiert und thematisiert bleibt (9), nicht ortsansässige Freunde Thorsten Heises (10), bei dem die Polizei erst kürzlich Maschinengewehre, Pistolen und andere Waffen neben volksverhetzender Propaganda beschlagnahmte (11), auch nicht der Neonaziladen "Zettel Am Zeh" welcher als Treffpunkt überregionaler militanter Faschisten gilt, die auf örtlichen Parkplätzen Jugendliche mit Holzlatten niedergestreckt haben sollen (12) - sondern Demonstranten aufgrund ihrer Kleidung. Vor diesem Hintergrund wirkt sogar eine Latschendemo unglaublich subversiv.


Schuldfragen

Deutsche stellen ja bekanntermaßen gerne die Schuldfrage und eine Antwort haben sie schon vorher parat: sie selbst haben damit nichts zu tun. Selbstverständlich ist es den örtlichen Nazigegnern ein Anliegen, die entstandenen Probleme und Streitigkeiten zu klären. Auch muss man durch eine Fehleranalyse zu einem Punkt zurückkehren, von dem aus man in die Zukunft weiter überparteiliche Präventionsarbeit leisten kann.

Das Bündnis "Bunt Statt Braun Osterode" geht auf das wichtige und richtige Engagement Fritz Vokuhls zurück, der es 2007 geschafft hat parlamentarische und unabhängige Antifaschisten an einen Tisch zu bekommen. Eine der größten Demonstrationen in der Geschichte der Kneippstadt Bad Lauterberg sowie ein großes Rock Gegen Rechts-Konzert sind Ergebnisse seines unnachgiebigen Engagements. Nicht zuletzt deshalb als auch in Funktion des Vorsitzenden einer linken Partei wie auch der lokalen Gewerkschaft ist er beliebte Projektions- und Angriffsfläche der Neonazis, unterliegt massiven Bedrohungen und Einschüchterungen (13). Als Vorstand des Bündnisses soll er nun zurückgetreten sein, erklärte öffentlich die Abkehr von der Antifa-Demo und rief im Namen des Vorstandes zur Teilnahme an einer anderen Gegendemonstration im unweit entfernten Goslar auf. Ungeschickt, sicher. Auch für Genossen und Genossinnen muss das ein Tiefschlag gewesen sein, welche kurz vor den Landtagswahlen als überparteiliche Organisation geeint und durch die vergangenen Monate gestärkt die Probleme in Bad Lauterberg erneut auf die Agenda setzen wollten. Als ebenso Fehlerhaft muss man das taktisch unkluge öffentliche Zuschreiben von Schuld an einzelne Personen des Bündnisses aber bezeichnen (14). Was im Vorfeld der Demonstration passierte, zeigt nicht das Versagen einzelner Personen, sondern deutet auf Fehler des gesamten Umfeldes hin. Es offenbart ein arges Kommunikationsproblem innerhalb der eigenen Strukturen. Neben strukturellen Schwächen und fehlerhaften Kompetenzverteilungen gehört sicherlich auch eine Art blinder Aktionismus in die Kritik. Wie sonst kann man erklären, dass man zu einer Demonstration im Bündnis der Göttinger radikalen Linken aufruft und plötzlich Kleingruppen ihren eigenen Weg zu gehen scheinen? Fehler, die jeder frisch gegründeten Organisation in der Gründungszeit unterlaufen können, nun über die Öffentlichkeit wie Medien auszutragen, löst nicht das Problem sondern verkompliziert das Alte und schafft gegebenenfalls sogar Neue.


Das Bündnis "Bunt Statt Braun" reproduziert die Verhältnisse und damit jenes bürgerliche Denken, welches schon vor Jahrzehnten etwas gegen Faschismus unternehmen möchte und dabei doch kaum vom Fleck kommt, der Weg wird zum Ziel während die Aktionen zu bloßen Gallerten ihrer selbst verkommen. Wenn es dabei noch um das Kernproblem geht, scheint bloßer Zufall zu sein. Es ist den Blinden dabei nicht gerade eine guter Begleiter, dass die dadurch ausgelösten Debatten nachwirken, so in Leserbriefen wie dem des FDP-Ratsherren Prof. Dr. Berend Willms. Willms kritisert zu Recht, dass die Bunte-Linke kurz vor der Demo am 19. sich "verflüchtigt" habe (15). Mag das Bündnis es auch nun anders behaupten, spiegelt Willms genau das wieder was in der öffentlichen Meinung vom Widerstand gegen Rechts übrig geblieben ist. Problematisch ist hier auch garnicht seine Festellung, an deren Richtigkeit wohl wenig zu bezweifeln ist (16), sondern dass jede öffentliche Auseinandersetzung mit Linksextremismus oder linker Politik im Allgemeinen in Bad Lauterbeg nur falsch sein kann:
  1. Es relativiert das objektive Neonaziproblem im Ort,
  2. problematisiert linke Kräfte in der Region bis hin zur Kriminalisierung - unterstellt ihnen niedere Absichten (Chaos, Gewalt) und
  3. nimmt den antifaschistischen Strukturen somit ihre demokratische Legitimation.

Es hat einen Grund, dass der Kader um Michael Hahn derzeit in Lauerstellung das Geschehen verfolgt und sogar noch Zeit findet, den Chefredakteur des Harz Kurier auf einen Dialog einzuladen.
Strucks Mahnung, dass die Frage nicht rechts oder links, sondern demokratisch oder undemokratisch sei - kam in seinem Statement definitiv zum richtigen Zeitpunkt (17). Ob es die aufgeschreckte Mitte besänftigt, wir die Zeit zeigen. Er artikuliert damit den wichtigen Anspruch, für ein Engagement gegen Rechts vorzugehen und die parteipolitischen Grabenkämpfe außen vor zu lassen.



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(1) "Rechtsextreme erscheinen wie Wölfe im Schafspelz", HK 20.04.2007.
(2) so geschehen durch Herzbergs Bürgermeister Walter, der mit führenden NPD Kadern keine Berührungsängste hat, durch Abstreiten rechter Strukturen vor Ort oder dem parteiübergreifenden gezielten Verschweigen von Erkenntnissen.
(3) Aufruf Antifaschistische Linke International (A.L.I.); Januar 2008 (nachzulesen unter puk.de/ali).
(4) "Im Harz Frisiert Germania" (JW #03/2008).
(5) Vorwurf Dagmar Schönfeld an den ehemaligen 1. Vorsitzenden von Bunt Statt Braun Osterode, vgl. HK vom 25.01.2008 ("„Die Antifa-Demonstration verlief friedlich“")sowie HK vom 16.01.2008 ("Von Antifa-Demo der A.L.I. distanziert") und HK vom 19.01.2008 ("Antifa Demo").
(6) vgl. Radiobeitrag "Antifa: 2, Nazis 0" unter http://monsters.blogsport.de/.
(7) Pressemitteilung Polizei Northeim-Osterode vom 19.01.2008; 20:42 Uhr "Die Demonstration "Es gibt kein ruhiges Hinerland - Gegen NPD und Kameradschaft Northeim" in Bad Lauterberg verlief friedlich.
(8) im Original heißt es: "als etwa 70 in schwarze Kapuzenjacken gehüllte, mit Sonnenbrillen getarnte Leute des antifaschistischen Blocks an der Spitze der Demo für Angst oder Unbehagen sorgten. Mit gegrölten Parolen, erhobenen Fäusten, verbotenen und beschlagnahmten Gewaltgegenständen"; HK vom 23.01.2008.
(9) vgl. Aufruf zur Demo, A.L.I.
(10) Michael Hahn, Michael Müller und Anett Müller uvm.
(11) NPD-Blog.info, "Großrazzia bei NPD-Bundesvorstand und NPD-Kandidaten" vom 30.10.07.
(12) vgl. Redebeitrag zur Demo vom 19.01.2008.
(13) u.a. physische Bedrohung am Wahlstand der Grünen bei der Kommunalwahl 2007 durch cirka 20 Neonazis; mehrfache Bedrohungen vor seinem Wohnsitz uvm.
(14) vgl. HK vom 25.01.2008 ("„Die Antifa-Demonstration verlief friedlich“"), Stellungnahme BSB-Vorstand im HK vom 26.01.2008 u.a.
(15)Leserbrief HK vom 24.01.2008.
(16) sieht man von dem anderen, hier nicht erwähnenswerten Quatsch ab, den Wilms dort verfasste.
(17) Leserbrief HK vom 26.01.2008.

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