4/22/2011

Korrektur nach unten - Warum die Krise ein Dauerzustand ist!


Wir dokumentieren die Einleitung des Aufrufs des Bündnisses 1. Mai Leipzig, veröffentlicht unter dem Titel "The Future Is Unwritten - Für eine Perspektive jenseits von Arbeitswahn und Staatsfetisch."
Die Krise sei vorbei titelten Ende 2010 Zeitungen im In- und Ausland. Die Konjunkturdaten stehen auf grün und vor allem die deutsche Wirtschaft vermeldet einen neuen Boom. Die Verlautbarungen erfolgen nach einem eingespielten Ritual, dass die gesellschaftliche Bewusstlosigkeit demonstriert: Nach jeder Krise wird behauptet, sie sei überwunden, man habe die richtigen Mittel gefunden, eine erneute Krise zu verhindern und ist dann alle paar Jahre wieder schockiert, wenn „auf einmal“ die Aktienkurse wieder in den Keller stürzen.
Die Ursache der Wirtschaftskrise 2008 bis 2009 läge darin, dass das Verhältnis zwischen Finanz- und Realwirtschaft in ein Ungleichgewicht geraten sei: Nach dieser Deutung habe sich das internationale Kredit- und Bankensystem lieber mit faulen Krediten und Immobilienspekulationen beschäftigt, anstatt der Realwirtschaft günstige Kredite zur Verfügung zu stellen. Diese Interpretation stellt jedoch das Konzept von Kapitalismus grundlegend auf den Kopf. Die Krise ging nicht von der Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft über, sondern die Krise in der Produktion hatte die Blasen hervorgebracht, die 2008 platzten.
Die vergangene Krise resultierte tatsächlich aus einem veränderten Verhältnis von Finanz- und Realwirtschaft. Im Zeitalter des Fordismus entstanden Krisen aus der Überproduktion, in der das investierte Kapital Überkapazitäten von Waren hervorbrachte, denen nicht genügend Konsument_innen gegenüberstanden. In den Zeiten zwischen den Krisen sorgte die Massenproduktion für eine massive Verbilligung der Konsumgüter und schuf mit der systematischen Erhöhung der Löhne zugleich Abnehmer_innen. Im Verlauf der so genannten „Dritten Industriellen Revolution“ der 70er Jahre kommt es durch Technologisierung, Flexibilisierung und Verschlankung von Unternehmensstrukturen zu einer bisher nicht gekannten Freisetzung von Arbeitskräften als „Überflüssige“ und damit zur dauerhaften Massenarbeitslosigkeit. Unter dieser Konkurrenz kommt es zu einer Lohnstagnation sowie einer unternehmensfreundlichen Politik der Deregulierung. In der Folge sank die Menge an Geld, die für Konsumgüter ausgegeben wurde, im Verhältnis zu den wachsenden Gewinnen der Unternehmen, die als Kapital wieder nach rentablen Investitionen suchten. Die Überproduktion wurde zum Dauerzustand, der bis heute anhält, weshalb die Gewinnzuwächse zunehmend durch Finanzgeschäfte erzielt werden mussten. Nominell wurde auf Ansprüche in der Realwirtschaft spekuliert, die jedoch längst nicht mehr gedeckt sind. In jeder Krise zeigt sich dies, wenn Kredite zurückgezahlt werden sollen und das ganze Kartenhaus in sich zusammenfällt. Diese so genannte Finanzialisierung ist folglich nicht Ausdruck davon, dass das Kapital „seine Aufgabe“ vergessen hätte, sondern dass ihm die Selbstverwertung in der Produktion nicht mehr möglich ist. Umkehrbar ist dieser Prozess genauso wenig, wie irgendwelche Manager_innen oder Bankiers ihn betrieben haben.In den klassischen Industriestaaten reagieren Staat und Kapital auf die Krise mit einer zunehmenden Fokussierung auf die Arbeitsmarktpolitik. Ähnlich wie Kapital soll auch Arbeit mobil und flexibel sein. Gesetzliche Regulierungen werden entschärft, die Rechte von Gewerkschaften beschnitten. Diese Entwicklung findet seine Fortsetzung in der verstärkten Anwendung und staatlichen Förderung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Zeit- oder Leiharbeit. Bestehende Arbeitsverhältnisse unterstehen einem wachsenden Konkurrenzdruck und müssen durch ihre Inhaber_innen kontinuierlich mit Leistung und Anpassung verteidigt werden. Mit der Einführung der Hartz Gesetze in Deutschland wurde ein repressiver Rahmen geschmiedet, der die Menschen für Tätigkeiten bereithalten soll, die es nicht mehr gibt. Während die technologische Entwicklung Arbeit zunehmend überflüssig macht, herrscht weiterhin die Auffassung, jeder kann und muss arbeiten. Diese Ideologie teilen nicht nur wirtschaftsliberale Politiker_innen, sondern vielmehr ein Großteil der deutschen Gesellschaft.
Die Identifikation mit Arbeit ergibt sich zum einen aus ihrer Rolle in der sozialen Integration und zum anderen aus der Naturalisierung der Arbeit im Kapitalismus. In der Tat ist es so, dass Menschen erst durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft den nötigen Lohn erhalten, welcher für ein allgemeines Leben gebraucht wird. Gleichwohl staatliche Transferleistungen eine „Grundsicherung“ garantieren, ist die wirkliche Anbindung an das soziale und kulturelle Leben erst durch Erwerbsarbeit möglich. Dass sie im Kapitalismus nichts als ihre Arbeitskraft sind, wird ihnen zur zweiten Natur, so als ob ein Leben ohne Arbeit keines mehr wäre.
Diese ist jedoch keine Bezeichnung für notwendige Tätigkeiten, die der Befriedigung von Bedürfnissen dienen. Sie ist nur der erfreuliche Nebeneffekt, der notwendig ist um die Waren absetzen zu können, die allein zur Gewinnsteigerung hergestellt wurden. Die Verausgabung von Arbeitskraft ist die Grundlage des Reichtums, da sie als einzige Ware nicht nur ihren Wert auf die Endprodukte überträgt, sondern neuen schafft. Allerdings ist es nicht der_die einzelne Arbeiter_in, der_die mit einer konkreten Tätigkeit Wert produziert. Dieser resultiert aus der durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit, die für ein bestimmtes Produkt benötigt wird. Real wird er jedoch erst im Vergleich zu anderen Waren auf dem Markt, wenn er in Geld umgesetzt wird. Erst an diesem Punkt zeigt sich, ob die Investition in Arbeitskraft, Investitionsgüter und Rohstoffe eine erfolgreiche Spekulation war. Es ist deshalb wichtig, noch einmal hervorzuheben, dass Arbeit im Kapitalismus auf die Erzeugung von Mehrwert und nicht auf sinnvolle Gegenstände zielt. Konsequent ist es deshalb, dass eigentlich blödsinnige Arbeiten, etwa der Versuch der Werbung Menschen ihre Bedürfnisse aufzuzeigen, als notwendig gesehen werden, weil sie dem Verkauf der Produkte dient. Andere, menschlich unabdingbare Tätigkeiten, wie diskutieren, soziale Netzwerke aufzubauen oder Kinder zu erziehen, fallen raus, so lange sie nicht zur Gewinnschöpfung herangezogen werden können.

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