12/12/2011

Sarrazinification - Wo Rassismus drauf steht, ist nicht immer nur NPD drin

Sarrazinification -
Linksliberal rückt nach rechts
Wilhelm Heitmeyer ist Gewalt- und Konfliktforscher der Universität Bielfeled. Seit 2002 untersucht er die Entwicklung und Verfestigung von Vorurteilen innerhalb der deutschen Bevölkerung im Rahmen seines Forschungsprojektes "Deutsche Zustände". Eines der Ergebnisse lautet, dass über 19 Prozent der Bevölkerung der folgenden Aussage zustimmt:
Wenn sich andere bei uns breitmachen, muss man ihnen unter Umständen unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Hause ist.
Wilhelm Heitmeyer, Deutsche Zustände (Suhrkamp Verlag)
Solche Befürwortung von Gewalt sei auf der rechten Seite des politischen Spektrums deutlich stärker ausgeprägt als bei jenen, die sich als "eher links", "links" oder "genau in der Mitte" bezeichnen.  9,2 Prozent der Bevölkerung hege tief verwurzelte rechtspopulistische Einstellungen. Die Gefahr von Rechts sei dadurch nicht geringer geworden. Heitmeyer macht zudem einen Anstieg in den einkommensstarken Gruppen aus.

Die Wirkung von Krisen - Entsicherung
Die Gründe sieht das Forscherteam in Schlüsselereignissen der letzten Dekade (11. September, Finanzkrise, Hartz IV). "Wichtiger aber seien "schleichende Prozesse" wie eine Ökonomisierung des Denkens und eine Entsolidarisierung, die der sozialen Spaltung Vorschub leiste. Wer sich und seinen Status bedroht fühle, der sei aber auch eher geneigt, andere Menschengruppen abzuwerten", schreibt Daniel Bax (die taz, 12. Dezember).

53 Prozent (2009: 47) der Befragten fühlten sich durch die derzeitige Wirtschaftsentwicklung in ihrem Lebensstandard bedroht.

Bildung und Einkommen schützen nicht vor Islamfeindlichkeit
Auch im linksliberalen Spektrum hielten islamfeindliche Einstellungen, ehemals Hoheit des rechten Spektrums, Einzug. Am Beispiel von Sarrazin habe sich gezeigt, dass Rassismus und Verlust von Demokratieverständnis auch im linken und liberalen Spektrum geteilt werden. "In linken Milieus verliere die Norm der Toleranz, sonst fester Bestandteil der politischen Einstellung, beim Thema Islamfeindlichkeit an Wirkung," berichtet der Die Zeit-Blog Störungsmelder. Unerwartet verfestigte sich die Islamfeindlichkeit "auch bei jenen, von denen es bisher nicht zu erwarten war", sagt Heitmeyer. Damit seien nicht bloß Linksliberale gemeint "Wachsende Abneigung gegen den Islam sieht der Konfliktforscher gerade auch bei Besserverdienenden, von denen nur ein Teil links sein dürfte. Jedenfalls wirke ein hohes Bildungsniveau der Abwertung von Muslimen nicht entgegen", berichtet Störungsmelder weiter.  Wilhelm Heitmeyer warnt, es gebe "längst eine rechtspopulistische Bewegung", der letztlich nur ihr charismatischer Anführer fehle. (ebd.)

Ergebnisse im Einzelnen
• In der ökonomischen Sphäre scheint weiterhin eine Mentalität bei Besserverdienenden vorzuherrschen, die von der grundgesetzlichen Maxime, laut der Eigentum verpflichtet (etwa zur Verhinderung sozialer Desintegration), wenig wissen will und der sozialen Spaltung Vorschub leistet. Zu den Kennzeichen des entsicherten Jahrzehnts gehören auch die Krisenstadien wie Finanz-, Wirtschafts-, Fiskal- und jetzt Schuldenkrise und ihre Wahrnehmungen und Verarbeitungen durch die Menschen.
• In der politischen Sphäre gibt es mit der Wahrnehmung einer Demokratieentleerung, also von Vertrauensverlusten und einem Gefühl der Machtlosigkeit, ernste Warnsignale, da die Anfälligkeit für rechtspopulistische Mobilisierungen auffällig ist.
• In der sozialen Sphäre haben die Ökonomisierung des Sozialen und die Statusunsicherheit mit den verschiedenen Desintegrationsängsten und -erfahrungen eine Kernrelevanz für die steigenden Abwertungen der als »Nutzlose« und »Ineffiziente« deklarierten Gruppen, also von Hartz-IV-Empfängern und Langzeitarbeitslosen.
• In der religiösen Sphäre ist das friedliche und vom Ideal der Gleichwertigkeit geprägte Zusammenleben der Menschen unterschiedlichen Glaubens immer noch latent gefährdet. Immer weniger Menschen wollen in Gebieten mit vielen Moslems leben. Auch die verschiedenen Varianten des Antisemitismus geben Grund zur Sorge, wie der israelbezogene Antisemitismus.
• In der Sphäre der Lebensstile bleibt auch die Abwertung von Homosexuellen oder Obdachlosen auf der gesellschaftlichen Tagesordnung.
Eine Übersicht der Ergebnisse ist hier nachzulesen.

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