5/26/2008

Gegen jeden Extremismusbegriff


Im Südharz hat die falsche Anwendung des Extremismusbegriffes in eine paradoxe Situation geführt. Das Engagement gegen Neonazis verkehrte sich in ein Engagement gegen Extremismus und relativiert damit die Verbrechen der Neonazis. In der öffentlichen Meinung wurde diese Diskussion durch die Tageszeitungen dokumentiert. Linkes Engagement zu einer Demonstration im Januar wurde mit völlig übertriebenen Begriffen wie "Linksextremismus" oder "Randale" (1) negiert. Stimmungsmache - welche die für kurze Zeit als selbstverständlich erachtete Unterstützung innerhalb der Bevölkerung in "gute" und "schlechte" Nazi-Gegner spaltete und damit linken Widerstand skandalisierte. Mit dem Bruch des einstigen breiten Bündnisses litt auch die Durchsetzungskraft, sich gegen Neonazis einzusetzen und ihnen öffentlichen Räume streitig zu machen. Die Demonstration im Januar 2008 wurde auch polizeilicherseits immer wieder dazu instrumentalisiert, diese Stimmungslage zu verschärfen. So wurde fleißig Politik gemacht - gegen Links. Gegenüber der Presse wurde beispielsweise durch Polizeisprecher über einen Zeitraum von 14 Tagen in ständiger Widerholung die Gewaltantwort gegeben; obwohl niemand danach gefragt hatte (2).

So wendete sich die Debatte vom bedrohlichen Problem mit extremen Rechten in der Region ab, eröffnete den Raum für allerlei "Linksextremismus"-Phantasien (3) . Auch jugendlichen Schülern aus Herzberg wurde ihr wünschenswertes Engagement gegen Faschismus und Rassismus zum Verhängnis. Bürgermeister Walter aus Herzberg am Harz gab den Startschuss dazu. Zu einem Fehler, nachdem er mit der NPD-Spitze symbolträchtig und öffentlichkeitswirksam die Gläser hob (4), bekannte er sich nicht. Offensichtlich verstanden er und seine Parteifreunde der CDU auch nicht, welche Probleme mit Faschisten früher wie heute verbunden sind. Dagegen hatte Walter allerdings die "wahre" Gefahr in seiner Presseerklärung zur Hand - Linksextremisten. Städtische Verweigerungshaltung gegenüber engagierten Schülerinnen und Schülern waren die Konsequenz, die der NPD-Besucher politisch zog.. Hinter vorgehaltener Hand fassten sich sogar ein paar Parteifreunde an die Stirn. Hat Walter auch nur einmal die Wochen- oder Jahresberichte der Behörden gelesen?

Es kam dazu, dass es zu nichts kam - Engagement durch Politik und Kulturangebote an den Problemorten Bad Lauterberg und Herzberg gegen Rechtsextremismus eingestellt - keine öffentlichen Räume oder Plätze für selbstorganisiertes jugendliches Engagement. Der Verein Bunt Statt Braun kämpfte lange Zeit vielmehr um seine eigene Existenzberechtigung, als das die notwendige und beabsichtigte Arbeit gegen Faschismus weitergeführt werden konnte. Es kann einem nur als schlechter Zynismus erscheinen, dass Linke quasi als vermeintliches Hauptproblem diskutiert werden, bedenkt man, dass es im Harz keine linken Strukturen gibt, sieht man von einigen wenigen Staatssozialisten ab. Die Faschisten konnten mittlerweile ihre Strukturen festigen und ausbauen. So leistet die Gesellschaft im Südharz unwissentlich und unbeabsichtigt Schützenhilfe für den erstarkenden Rechtsextremismus direkt vor der eigenen Haustür - sie wissen es nicht, aber sie tun es.


Die Dokumentation des offenen Briefes einer Sächsischen Initiative soll die Kritik an der falschen Gleichsetzung von linker Praxis mit rechten Extremismus unterstreichen. Damit Verbunden ist auch eine Antwort, warum in Deutschland zwar alle über Rechts reden und fordern, dass man etwas tuen müsse - sich aber nichts ändert und die Verhältnisse immer prekärer werden. Die Initiative Gegen Jeden Extremismusbegriff hat einen offenen Brief veröffentlicht, den wir in Auszügen veröffentlichen. Den gesamten Text kann man auf der Website der Initiative nachlesen. Ein Interview mit der Initiative kann auch per Webstream des Radio Island#48 als MP3 gehört werden.

Linke, antifaschistische Politik und Kultur sind nicht „extremistisch“, sondern extrem wichtig!

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Als Argument für solche Maßnahmen wird immer wieder das Modell des politischen Extremismus angeführt. Dieses besagt, dass es eine demokratische Mitte der Gesellschaft gäbe, die durch extremistische Ränder bedroht sei. Diese klare Aufteilung verharmlost Rassismus, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeitsideologien, die sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen, oder blendet sie gänzlich aus. Zudem werden linke Gesellschaftskritik und antifaschistischer Widerstand mit dem Denken und Handeln von Nazis gleichgesetzt. Verkannt wird dabei unter anderem, dass die Gefahr, Opfer eines Naziübergriffs zu werden, dort wesentlich geringer ist, wo sich linksalternative Kulturprojekte, antifaschistische und andere Gruppen gegen Nazis, rassistische Gewalt und Diskriminierung einsetzen.

Die Gleichsetzung von Links und Rechts durch Politik und Medien wollen wir nicht länger hinnehmen. Statt Diffamierung und Repression braucht es mehr Freiräume für antifaschistische und linksalternative Kultur und Politik!

Sind die Linken das Problem? Der Extremismusbegriff in der Praxis.

Am 12. März diesen Jahres veröffentlichte die Leipziger Volkszeitung einen offenen Brief von Innenminister Albrecht Buttolo an den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung. In diesem Schreiben stellt Buttolo Leipzigs „Diskokrieg“ und die Ausschreitungen um diverse Fußballspiele mit Aktivitäten gegen Naziaufmärsche und dem Betreiben linker Kulturprojekte in engen Zusammenhang. Buttolo beklagt neben mangelndem „bürgerlichen Engagement in der Stadt Leipzig“ auch die „Untätigkeit der Stadtverwaltung hinsichtlich der Stützpunkte linksextremistischer Gewalttäter in Connewitz“ und der damit zusammenhängenden „Gewaltexzesse anlässlich rechtsextremer Demonstrationen“. Das Schreiben Buttolos ist in sofern ein Skandal, als dass es die gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Leipziger Innenstadt dazu instrumentalisiert, eine öffentliche Stimmungsmache gegen die linke Szene voranzutreiben.
Als grundlegendes Argument dient Buttolo dabei immer der Verweis auf den Extremismusbegriff, der besagt, dass „Linksextreme“ genauso gefährlich seien wie „Rechtsextreme“. Wie sich dieses Denken in Sachsen schon länger in die Praxis umsetzt, zeigen einige Beispiele aus dem Jahr 2007.

  1. Zum Beispiel Mügeln: Dort kam es im Sommer letzten Jahres bei einem Volksfest zu einer Hetzjagd auf MigrantInnen. Trotz empörter öffentlicher Reaktionen, in deren Folge sich die Stadt teils als Opfer, teils reumütig präsentierte, reagierte die Verwaltung abstruserweise mit der Schließung des einzigen alternativen Jugendclubs „Free Time In“.
  2. Zum Beispiel Mittweida, wo die Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr gegen die Nazigruppierung „Sturm 34“ ermittelte: Hier verbot der Oberbürgermeister eine antifaschistische Veranstaltung, den „Antifaschistischen Ratschlag“, um deutlich zu machen, dass Widerstand unerwünscht ist.
  3. Zum Beispiel Colditz: Nachdem Nazis mehrmals eine Turnhalle angegriffen hatten, in der alternative Konzerte stattfanden, reagierte die Stadt Colditz, in dem sie die Konzerte einfach absagte.

Doch nicht nur im ländlichen Raum Sachsens kommt es zu solchen Vorgehensweisen. Als Anfang diesen Jahres ca. 300 Nazis im Leipziger Stadtteil Reudnitz demonstrierten, durfte die Demonstration trotz zahlreicher warnender Hinweise vor einem Haus eine Zwischenkundgebung abhalten, in dem vorwiegend Studierende, junge Familien, linke oder alternative Menschen wohnen. Die BewohnerInnen versuchten dieser Situation zivilen Widerstand entgegenzusetzen, indem sie die Straße mit Musik beschallten und ein Transparent ausrollten. Daraufhin stürmte die Polizei das Haus, ging mit massiver Brutalität gegen die BewohnerInnen vor und zerstörte sämtliche Sicherungen, so dass das Haus ohne Stromversorgung war. Antifaschistisches Engagement wurde an diesem Tag somit stärker als das Treiben der Nazis durch die Polizei behindert.

Dass sich die linke Szene, AntifaschistInnen und Kulturlinke Repressionen ausgesetzt sehen, ist nichts Neues. Schon im Jahr 2000 ermittelte die Staatsanwaltschaft eifrig gegen „Linksextremisten“. Damals versuchte man politische Aktivitäten über §129 StGB, der die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt, zu unterbinden. Nachdem wahllos Wohnungen durchsucht, Telefone abgehört und Menschen schikaniert und kriminalisiert wurden, kam es schließlich zur vollständigen Einstellung aller Ermittlungsverfahren. Auch der Kampf des Soziokulturellen Zentrums Conne Island mit dem Finanzamt Leipzig vor vier Jahren zeigt, auf welchen Wegen versucht wird, linke Politik zu vereiteln. Damals sollte dem Conne Island die Gemeinnützigkeit entzogen werden, weil es auf jede Eintrittskarte eine Mark extra nahm, um damit antifaschistisches Engagement zu unterstützen.

[...]

Nichtsdestotrotz wird der Extremismusbegriff von der sächsischen CDU und regionalen Medien wie der LVZ stets aufs Neue lanciert und von der breiten Bevölkerung mitgetragen. In diesem Zusammenhang wird auch und immer wieder gern zugunsten der Forderung nach einem starken Staat das Recht auf Versammlungsfreiheit in Frage gestellt. Linke Gruppen und AntifaschistInnen werden dadurch mit StalinistInnen, IslamistInnen, HolocaustleugnerInnen und Nazis in einen Topf geworfen.

Die Theorie zur Praxis: Die „Extremismusformel“

Den Begriffen „Rechts- und Linksextremismus“ liegt die Extremismustheorie zugrunde: das Verständnis einer Bedrohung der Gesellschaft durch „Extremisten“. Eine Differenzierung nach Einstellungen und politischen Zielen erfolgt nicht. Vermittelt wird vielmehr, dass eine politische Mitte der Gesellschaft existiert, die sich von diesen Extremen klar abgrenzen lässt.

In den Problemwahrnehmungen und in der politischen Praxis werden rechte Einstellungen dann meist erstens als Jugendproblem, zweitens als Gewaltproblem und drittens als Abweichung von nicht genauer definierten politischen Normalitätsbereichen beschrieben. Dass diese Beschreibung keine empirische Entsprechung hat, zeigen die Ergebnisse zahlreicher Studien z.B. von den Leipziger Forschern Oliver Decker und Elmar Brähler oder von Wilhelm Heitmeyer. Rassismus, Antisemitismus, völkischer Nationalismus, autoritäre Ordnungsvorstellungen, sexistische Rollenzuweisungen, Sozialdarwinismus und andere Versatzstücke nationalsozialistischer Ideologie sind danach für weite Teile der Bevölkerung konsensfähig, unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Einkommensverhältnissen oder Parteipräferenz.

Nach der Logik der „Extremismusformel“ gilt es den demokratischen Verfassungsstaat gegen politische Extreme zu verteidigen, da diese „in der Regel auf grundsätzlicher Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt, Toleranz und Offenheit basieren“. Dabei spielt die Betonung der formalen Gleichheit von linkem, rechtem und seit einigen Jahren auch „Ausländer“-Extremismus eine entscheidende Rolle. Aus diesen festen Bestandteilen ergibt sich auch die politische Relevanz der Extremismusformel. Denn auch wenn sie eigentlich aufs wissenschaftliche und politische Abstellgleis gehört, dient sie staatlichen Ordnungsorganen und PolitikerInnen als Handlungsgrundlage, wenn es darum geht, politische Aktivitäten von all jenen zu delegitimieren, die zentrale Elemente der Naziideologie ablehnen, sei es das Leitbild einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft oder der Ruf nach dem autoritären Staat.

Des Weiteren lässt sich auf politischer Ebene mit Rückgriff auf den Begriff des politischen Extremismus trefflich die Existenz von Nazistrukturen und der sie unterstützenden Rahmenbedingungen verharmlosen. So kann über Nazigruppen und deren Aktivitäten geschwiegen werden, wenn die Gefahr für die Demokratie angeblich von linken Gruppierungen, die gegen Rassismus und Antisemitismus vorgehen, ausgeht. Debattiert wird dann wochenlang und öffentlichkeitswirksam über „Randale“ in Connewitz oder über „kriminelle Ausländerbanden“, während die steigende Zahl der Naziübergriffe und -aktivitäten sowie von Alltagsrassismus und anderen Diskriminierungen eine Randnotiz bleibt.

Und schließlich eignet sich die Formel des Extremismus, um eine vermeintlich „normale Mitte“ von ihren „Rändern“ zu trennen. Dort, wo Naziideologien zum Randphänomen erklärt werden und damit deren Verbindung zur bundesrepublikanischen Normalität geleugnet wird, dort gibt es auch keinen Platz für eine notwendige und berechtigte linke Kritik z.B. an institutionellem Rassismus in deutschen Gesetzen oder Behörden und alltäglichem Rassismus und Antisemitismus. Rechte Ideologie wird in diesem Zusammenhang zur Randerscheinung gemacht und die „demokratische Mitte“ kann sich ihrer moralischen Legitimation sicher sein.

Für eine Stärkung linker emanzipatorischer Projekte!

Eine Phalanx konservativer PolitikerInnen und Medien instrumentalisiert die gewalttätigen Zusammenstöße in der Leipziger Innenstadt genau auf Grundlage dieses äußerst umstrittenen Extremismusbegriffs. Antinazipolitik wird durch die Zuschreibung „extrem“ diffamiert und verhindert. Dabei ist es doch klar, dass der Extremismusbegriff das Naziproblem nicht erklären kann. Scheinbar ist es nicht das Ansinnen, eine Lösung zur Verhinderung weiterer Gewalttaten zu finden, vielmehr wird die stadtweite Aufregung und polizeiliche Ratlosigkeit zum Anlass genommen, um gegen die linke Szene Stimmung zu machen. Es ist offensichtlich, dass die existenzielle Grundlage linker Kulturprojekte und antifaschistischer Politik Ziel dieses Vorgehens ist. Eine derartige Diffamierung antifaschistischer und kultureller Arbeit können wir nicht hinnehmen.

Es ist heute dringend notwendig, eine radikale Gesellschaftskritik zu formulieren und damit auch Naziideologien in der sogenannten Mitte der Gesellschaft und Nazistrukturen zu bekämpfen. Hierfür brauchen wir nicht weniger, sondern mehr unabhängige linke Projekte!

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Einen Bericht über den Umgang mit Neonazis gab es beim ARD Report "Wieso die Polizei Nazis schont".

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(1) u.a. "Von Antifa-Demo der A.L.I. distanziert" (Harz Kurier)
(2) vgl. unseren Bericht hierzu: "
Bürgerlicher Antifaschismus - Wenn der Weg zum Ziel wird"
(3) Roman Schmitz und Jan-Steffen Wedemeier (beide CDU Herzberg) am 3. Oktober 2007: "Bei allen Diskussionen um das Aufkeimen der NPD in unserem Landkreis, sollte man sich mit einem ebenso engagierrten Verhalten auch entschieden gegen die Politik der Linkspartei stellen, um auch hier ein eindeutiges Zeichen zu setzen. Wenn es um Extremismus geht, darf man nicht auf dem rechten Auge scharf blicken und auf dem linken blind sein." (Fehler im Original)
(4) "Die NPD und der Bürgermeister" (NDR, 25. April 2007)

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