Die Deutschen sind empört. Jetzt müssen sie sich in der Du-Bist-Deutschland-Euphorie mit Politik befassen. Schuld ist die NPD und "ihre" Rechten. Da wollten es sich Freizeitpatriot_innen bei Bratwurst und Apfelschorle gerade mit wedelnden Fähnchen an Auto, Haus und Nutella-Gläschen heimelig einrichten um mal "endlich wieder" unverkrampft deutsch sein zu können, da mogelt sich die rechte Hintermannschaft in die Kreistage Sachsens und ruft in Erinnerung, was man vergessen wollte und ohnehin schon aufgearbeitet zu haben meint - die Vergangenheit.
"Die Leute müssen endlich aufwachen", fällt dem Bürgermeister des Kaffs Reinhardtsdorf-Schöna (kürzer ging nicht, da die Domain schon vergeben war) ein. Die CDU möchte allerdings darauf hinweisen, dass man auch den wachsenden Linksextremismus im Auge behalten müsse (1). Die Grünen sehen Möglichkeiten für eine fröhliche und besonders bunte Demonstration, schließlich sei es "5 vor 12". Bei "allen berechtigten Protesten" dürfe aber nicht wild plakatiert werden, darüber habe man sich auch mit dem Naturschutzbund verständigt. Der ortsansässigen SPD hingegen fallen keine Argumente gegen die NPD ein, doch "dass die nicht richtig mitarbeiten und bei Sitzungen fehlen", das stört den Pressesprecher arg (2). "Ansonsten sind das ja normale Leute, die tun keinem etwas und benehmen sich immer anständig", pflichtet ihm seine Adjutantin bei.(3) Der SPD-Landrat stimmt mit ein. Das Problem mit rechtsextremistischen Ansätzen könne man zwar nicht leugnen, aber genauso müssen man sich vor übertriebenen Reaktionen hüten. (4)
Die CDU hat ein Fest für Demokratie und Toleranz vorgeschlagen. Man sei sich mit den Grünen bereits darüber einig, dass der Lautstärkepegel des "fröhlichen Beisammenseins (für das leibliche Wohl ist gesorgt)" aber nicht 50 dB überschreiten dürfe. Der Fußballverein 1. VFL Germania Schöna 1933 erklärte sich bereit, zu dieser friedlichen Demonstration seine Torwand zur Verfügung zu stellen. Überhaupt könne man die Veranstaltung dazu nutzen, Jugendliche für die Vereine zu gewinnen. Schulleiter der Stadt versprechen sich dadurch auch eine bessere Integration von Jugendlichen, die ansonsten "in die Fänge der Nazis" geraten könnten. (5) Verschiedene Vereine haben in ihren letztjährigen Abschlussberichten Nachwuchssorgen geäußert. Man sei daher auch zu Zugeständnissen bereit und über jedermans Hilfe dankbar. Dr. Dr. Dr. Phil. labil Neid von der FDP warf ein, dass der Geschäftsbetrieb in der Veranstaltungszeit aber nicht gestört werden dürfe. Ansonsten sei der kleine Mann wieder der gelackmeierte, wo käme man da hin, wenn man wegen den Protesten vor verschlossenen Ladentüren stehen würde, pflichtet ihm Bodo Winkler von der Partei Freie Bürgerinitiative BI bei. Überhaupt lockten derartige Veranstaltungen nur "die Falschen" an, weiß der Sicherheitsbeauftragte der CDU Scholz. (6) Er verlange daher, das Versammlungsrecht dahingehend einzuschränken, man könne bereits im Vorfeld verdächtig aussehende Personen überwachen lassen und bei Anreise in Sicherheitsgewahrsam nehmen. "Man erkennt die Linken schon daran, dass die dort sind, wo der Daumen rechts ist", so die allgemeine Einschätzung auf der letzten Kreistagssitzung. CDU und FDP lehnen sowohl rechtsradikale wie auch linksradikale Positionen ab.(7) Experten sehen darin den Grundstein für die "Arbeitsgemeinschaft für Weltoffenheit und Demokratie im Land Sachsen".(8) Aufgrund der überwältigenden Zugewinne für die Neonazis, sei es an der Zeit, auch ein Zeichen gegen Jeden-Extremismus zu setzen. Man wolle dabei vor allem erst einmal mit allen Beteiligten und bekannten Personen das Gespräch suchen. Der Kirchenkreis möchte den Tag mit einem Frühgottesdienst eröffnen und ruft auf zum "Beten und Meditieren gegen Rechts". (9)
"Die demokratischen Kräfte unserer Gesellschaft müssen hellwach sein. Deshalb setzen wir den Kampf gegen den Rechtsextremismus mit neuer Kraft fort“, sagt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen dazu. (10) Auf die Gesellschaft in Reinhardtsdorf-Schöna könne man stolz sein, denn "die tun was", so Von der Leyen weiter. Man habe sie für das Fest als Schirmherrin gewinnen können. (11)
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(1) ein typischer Reflex in der öffentlichen Debatte, gerade von demokratisch-konservativeren Parteien wie CSU, CDU, FDP aber auch freien Wählergemeinschaften. Warum man Extremismus von Rechts nicht einfach mit vermeintlichen Linksextremismus gleichsetzen kann, das hat die Kampagne "Gegen Jeden Extremismusbegriff" erklärt.
(2) Statt die NPD in ihrer Gesamtheit permanent zu kritisieren, findet man bis in bundesstrukturen von Parteien hinein Tendenzen, dass die NPD plötzlich für ihre Arbeit kritisiert wird. Das ist oftmals ein Meilenstein für die Nazis, denn was sie wollen ist über Inhalte streiten, um ihre Ideologie zur Diskussion zu stellen und damit öffentliche Wirkung zu erzielen. Eine Kritik an der NPD für ihre Arbeit spielt dieser Strategie zu, während eine Kritik an den Wurzeln der Partei - die Existenzfrage einer Faschist_innenpartei - diesen Fehler umgeht.
(3) "Der nette Nachbar von Nebenan" (Thilo Schmidt) stellt eindrucksvoll dar, wie eine Normalisierungsstrategie der Nazis aussieht.
(4) Landrat Reuter zitiert im Harz Kurier.
(5) Verschiedene Schulleiter stellten "vernünftige Freizeitangebote für Jugendliche" (vgl. Harz Kurier) immer wieder als Problemlösung in Bad Lauterberg dar. Das tatsächliche Problem haben diese Schulleiter nicht erkannt. Die Wurzel des Naziproblems sind nicht alleine rechte jugendliche Schläger, betont der Konfliktforscher Heitmeyer bei NPD-Blog.info: “Die feindseligen Mentalitäten werden vor allem von den Älteren vertreten - und die Jüngeren bringen dann die Gewalt ins Spiel. Und dann wird eine Gesellschaft plötzlich nervös. Was die Älteren an Denkmustern jeden Tag am Stamm- oder am Abendbrottisch transportieren, das wird überhaupt nicht thematisiert. Es geht nicht darum, sich gegen rechtsextreme Gruppen zu versammeln, sondern die Stadtgesellschaft ist das Problem. Wenn man die Älteren nicht mit ins Boot bekommt, dann hat man ganz schlechte Karten. […]" (vgl. NPD-Blog.info) .
(6) Immer wieder werden nicht die problematischen Nazis thematisiert, sondern es kommt zu umgekehrten Reaktionen. Schon das benutzte Vokabular "Chaoten", "Krawallmacher" zeigt die Richtung an, in welche man sich schärfere Maßnahmen wünscht: Linke, Gewerkschaftler, Gegendemonstranten (vg. hierzu "Gegen Jeden Extremismusbegriff").
(7) ebenda.
(8) Fritz Vokuhl, der erst die Bündnisgegendemonstrationen kurz vor den Wahlen vor eine Zerreißprobe stellte und anschließend die antifaschistische Initiative "Bunt Statt Braun" verließ, leitet nun mit einigen Gefolgsleuten eine neue Arbeitsgemeinschaft die sich von dem klaren antifaschistischen Engagement abstand nimmt und "gegen jeden Extremismus" meint, in Bad Lauterberg das garnicht existente Problem "Linksextremismus" auf die Agenda heben zu müssen und damit den Rechtsradikalismus zu relativieren (Argument hierfür vgl. "Gegen Jeden Extremismusbegriff"). Mit Ruhe und Vernunft wäre der grüne Konservative vielleicht zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen wie die oberfränkische CSU aus Weißenohe. "In einem Brief, der von 13 weiteren CSU-Mitglieder unterstützt wurde, schrieb [Carmen Strumpf (CSU)]: "Die Einbeziehung der Antifa-Aktivisten in die Überlegungen des Bürgerforums Gräfenberg hat sich in vielen Veranstaltungen als kalkulierbar bewährt."
(9) Außer beten nichts gewesen. Die Kirche hat sich aus der Debatte um Faschismus im Südharz bisweilen nicht erkennbar öffentlich geäußert. Statt dessen half sie dem Neonazi Oliver Keudel sogar, seine Bewährungsstrafe im Kreise der Kirchengemeinde zu verrichten.
(10) Lausitzer Zeitung.
(11) "Was bleibt vom Medienhype um Reinhardtsdorf-Schöna?", NPD-Blog.info.